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Ich such mir derweil ein anderes Haus

Ich such mir derweil ein anderes Haus

Verlust der alten Heimat – der Suche nach neuen Wurzeln und welche Folgen ergeben sich daraus für die nächsten Generationen.

Szenische Lesung nach der Familienchronik von Anita Ohneberg – Option 1939 aus dem Südtirol

Verfasst von Luna Levay
Slampoetion, Vorarlberger Jungautorin.
Urheberrechtlich geschützt.


 

Szene 1

Schaffner: Guten Tag, die Fahrscheine bitte.
Frau: Hier, bitte sehr.
S: Vielen Dank.
F: Sagen Sie, wie heißt denn die nächste Haltestelle?
S: Wir sind kurz vor Bozen.
F: Ah wirklich? So weit schon?
S: Ja, hätten Sie früher aussteigen sollen?
F: Nein, nein, das ist schon in Ordnung.
S: Wunderbar.
F (mehr zu sich selbst): Ich habe es nur nicht erkannt. So lange ist es schon her…
S: Was ist so lange her, werte Dame? Wenn ich fragen darf…
F: Dass ich zum letzten Mal hier war. Da war ich noch ein Kind.
S: Oh, ja da hat sich in der Zwischenzeit einiges verändert.
F: Meine Eltern flohen ‘39 aus dem Südtirol. Seit dort hat niemand aus meiner Familie mehr einen Fuß in die Gegend gesetzt.
S: Und was bewegt sie dazu, heute hierher zu reisen?
F: Meine Mutter ist vor einem Monat gestorben und hat mir vor ihrem Tod ein paar Geschichten aus ihrer Zeit im Südtirol erzählt. Seit dort fühle ich mich magisch angezogen von ihrer ursprünglichen Heimat. Sie selbst kam mir immer sehr glücklich vor, in Vorarlberg zu leben. Aber in diesen letzten Erzählungen schwang etwas so Sentimentales mit, dass ich begann, mich zu fragen, ob ich die ganze Wahrheit kenne. Über unsere Familie und das Kapitel in deren Geschichte, das mit der Auswanderung zu Ende ging.
S: Das klingt in der Tat spannend.
F: Deswegen habe ich mir gedacht, dass ich mich auf den Weg mache, um mir alles mit eigenen Augen anzusehen. Und ein paar Nachforschungen anzustellen.
S: Da drücke ich Ihnen von ganzem Herzen die Daumen.
F: Vielen Dank!
S: Wir sind nun in Bozen. Auf Wiedersehen!
F: Auf bald!

 

Szene 2


Mann
: Ich werde dich vermissen!
Frau: Und ich dich erst!
M: Versprich mir, dass du ganz viele Briefe schickst.
F: Versprochen.
M: Und Fotos.
F: Aber sicher doch!
M: Und Videos.
F: Wenn du dir das wünscht – selbstverständlich!
M: Ach, ich will dich einfach nicht gehen lassen.
F: Du musst aber. Ich bin ja ganz bald wieder da.
M: Ich weiß, die Reportage ist wichtig für deine Karriere.
F: Ja! Und du wirst sehen – Der Aufwand lohnt sich.
M: Da bin ich mir sicher. Aber pass bitte auf dich auf!
F: Natürlich. Ich bin doch bestens ausgerüstet.
M: Hast du den Regenschutz eingepackt?
F: Ja.
M. Und das extra Paar Wollsocken für die Berghütte?
F: Ja.
M: Und die Powerbank für dein Handy?
F: Ja, mein Schatz, daran habe ich auch gedacht. (streichelt seine Wange) Es ist nicht das erste Mal, dass ich in die Berge gehe.
M: Aber das erste Mal, dass du ganz auf dich allein gestellt bist.
F: Ich MUSS das allein durchziehen. Mein Vater war damals auch allein, als er die Dolomitendurchquerte. Und wenn ich mich ihm nahe fühlen will, während ich auf seinen Spuren wandle, darf ich mich nicht durch Gesellschaft ablenken lassen.
M: Ich weiß, ich mache mir nur Sorgen.
F: Das musst du nicht. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Und in zwei Wochen bin ich schon wieder da. Dann erzähle ich dir alles bis ins kleinste Detail.
M: Darauf hoffe ich!
F: Aber jetzt muss ich wirklich einsteigen. Ansonsten fährt der Zug ohne mich.
M: Ich denke ganz fest an dich!
F: Ich auch an dich! Bis dann!

 

Szene 3

Mann 1: Oh nein, habe ich ihn verlegt?! Das darf nicht wahr sein! Doch nicht jetzt… Nein, nein, nein, das kann, nein das DARF nicht wahr sein!
Mann 2: Entschuldigen Sie, kann ich Ihnen helfen?
1: NEIN! ODER WISSE SIE, WO ICH MEINE WICHTIGEN FOTOS AUFBEWAHRE?
2: Oh, es tut mir leid, ich wollte Sie nicht kränken oder erzürnen. Ich dachte nur, ich könnte Ihnen vielleicht bei der Suche helfen.
1: Ha, das kann niemand.
2: ….
1: Wo ist es denn? … Ich bin aufgeschmissen. All die Jahre über war es immer da. Immer genau hier – In der Innentasche meines Mantels. Und jetzt – weg… (setzt sich resigniert und leicht beschämt auf eine Bank. Blickt Mann 2 entschuldigend an) Es tut mir aufrichtig leid, dass ich Sie ebenso angefahren habe. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich bin nur so verzweifelt, dass ich das Foto von ihr verloren habe. Das Einzige, das ich habe aus unserer gemeinsamen Jugend.
2: Ist schon in Ordnung. Das klingt wirklich tragisch.
1: Ja, Margarete war meine große Liebe. Bereits damals, als ich noch in Trafoi gelebt hatte. Und wir haben uns seit Jahren nicht mehr gesehen. Heute will sie mich besuchen kommen. Und gerade jetzt habe ich dieses Foto verlegt.
2: Das, welches Sie jeden Tag bei sich trugen?
1: Genau. Ich habe es an einem warmen Herbsttag gemacht, als wir zusammen den Ortler bestiegen hatten. Das war eine Wanderung – Sie verlangte uns wirklich vieles ab.
2: Das glaube ich Ihnen!
1: Kennen Sie Trafoi?
2: Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich davon noch nie gehört habe.
1: Das ist ein winziges Dorf am Fuße des Ortlers. Damals lebten da nicht einmal 100 Menschen. Heute sind es, glaube ich, auch nicht mehr.
2: Das klingt wirklich nach einem sehr familiären Umfeld in dieser Gemeinschaft.
1: Natürlich – Alle kannten sich und man musste miteinander auskommen, ob man wollte oder nicht. Die Gesellschaft konnte man sich halt nicht einfach so aussuchen.
2: Aber mit Ihrer Margarete war es wohl ein Glücksfall, dass sie auch dort lebte?

1: Ja, sie war die schönste Frau im ganzen Dorf. Und sehr intelligent – Doch leider war das mit der Schulbildung nicht so einfach. Wir mussten einen weiten Weg ins nächste Dorf zurücklegen, um dort eine Schule besuchen zu können. Das bedeutet, dass wir alle nicht mehr als einige Jahre die  Pflichtschule besuchten.
2: Das ist keine Seltenheit bei Menschen, die tief in den Bergen aufwachsen. Manchmal gab es da einfach keine wirklichen Alternativen außer Internate…
1: Genau, und sie wollte Trafoi aber nicht verlassen. Deswegen blieb sie auf dem Hof ihrer Eltern und übernahm irgendwann die Gastwirtschaft im Dorf, als die Besitzerin zu alt wurde und ihre Kinder kein Interesse zeigten.
2: Wurde sie damit glücklich?
1: Ja, Margarete brauchte nicht mehr, als ein Glas frische Milch, eine milde Sommerbrise und das Gefühl von nacktem Gras unter ihren Füßen, um alles andere zu vergessen und den schlimmsten Tag zu einem schönen Abschluss zu bringen.
2: Das klingt himmlisch!
1: War es auch. Und doch musste ich gehen.
2: Wohin?
1: Ich zog nach Innsbruck um dort eine Ausbildung zu machen.
2: Und kamen nicht mehr zurück?
1: Genau. Wir haben uns aus den Augen verloren.
2: Und wiedergefunden.
1: Und hier, in diesem Zug, sollte sie nun ankommen! (springt in freudiger Erwartung auf)
2: Oh, warten Sie! Ihnen ist hier etwas aus der Tasche gefallen.
1: Das ist es! Das Foto!
2: Na dann hat sich ja doch alles zum Guten gewendet…
1: Vielen Dank für Ihre Hilfe.
2: Ich habe doch gar nichts gemacht.
1: So würde ich das nicht bezeichnen…

 

Szene 4


Obrigkeit 1:
Die Blumenteufel
Obrigkeit 2: Was tragt ihr da, für stolzes Reis?
Erzherzog Josefs Edelweiß!
Das haben wir erkoren!
Die Hörner schmettern Sturm und Wut!
Die Fahnen fressen sich durchs Blut!
Herr Russ ́, du bist verloren!
O1: Genehmigt.
Nächster.
Abgelehnt.
Nächste.
O2: O Heimatland, o Österreich!
Wer kommt den tapferen Jägern gleich?
Wir tragen durch die Schlachten heiß
Erzherzog Josefs Edelweiß.
O1: Papiere.
Wie, Sie haben keine?
Dann gehen Sie jetzt wieder.
O2: Es hub ein grimmig Feuern an,
Als hätt‘ die Höll‘ sich aufgetan:

Schrapnelle

(Durchgehende Stempelgeräusche, erzeugt durch an einem Tisch sitzende Obrigkeit 1 Obrigkeit 2 schreitet über die Bühne, während sie das Gedicht vorträgt.)

Obrigkeit 1: Die Blumenteufel

Obrigkeit 2: Was tragt ihr da, für stolzes Reis?

Erzherzog Josefs Edelweiß!

Das haben wir erkoren!

Die Hörner schmettern Sturm und Wut!

Die Fahnen fressen sich durchs Blut!

Herr Russ ́, du bist verloren!

O1: Genehmigt.

Nächster.

Abgelehnt.

Nächste.

O2: O Heimatland, o Österreich!

Wer kommt den tapferen Jägern gleich?

Wir tragen durch die Schlachten heiß

Erzherzog Josefs Edelweiß.

O1: Papiere.

Wie, Sie haben keine?

Dann gehen Sie jetzt wieder.

O2: Es hub ein grimmig Feuern an,

Als hätt‘ die Höll‘ sich aufgetan:

Schrapnelle und Granaten.

Doch immer vorn, im ärgsten Schlund,

Das Korps der „Blumenteufel“ stund

Mit tausend Heldentaten.

O1: Antrag genehmigt.

Umsiedelung wird veranlasst.

Nächster.

O2: O Heimatland, o Österreich!

Wer kommt den roten Rainern gleich?

Wir tragen durch die Schlachten heiß

Erzherzog Josefs Edelweiß.

O1: Pass.

Das ist aber nicht Ihrer.

Ja wollen Sie mich veräppeln?

Raus hier!

Nächste.

O2: Und fallen wir auch Reih‘ u Reih‘

Es kämpfen einer gegen drei–

Gott wird den Sieg uns geben.

Wir sind ein einzig Volk und Will‘

Und sterben für den Kaiser still –

Was wir vollbracht, wird leben.

O1: Papiere.

Ja, die Reisedokumente.

Den Pass halt!

Passaporto.

Mi serve il tuo passaporto!

O2: O Heimatland, o Österreich!

Dem Edelweiß kommt keiner gleich,

und sinkt sein Stern, so fällt auch dann

Erzherzog Josefs letzter Mann.

(Obrigkeit 1 beendet die Stempelarbeit, Tisch wird entfernt und die beiden Obrigkeiten stellen sich mittig hinten auf die Bühne.)

Anita: Dieses Gedicht von Heinz Scharpf stammt aus dem Jahr 1914. Wie alt war mein Großvater, Johann Josef Gander, zu diesem Zeitpunkt?

Hans-Sepp: Ich wurde in diesem Jahr 21. Aber Johann Josef – Das klingt schon sehr förmlich dafür, dass du meine Enkelin bist.

A: Doch lieber Hans-Sepp?

HS: Viel besser!

O2: Wilhelmina Lechner und Johann Josef Gander schlossen am 21. April 1925 in Taufers im Münstertal, den Bund der Ehe. Sie bekamen 5 Kinder – Ludwig, Elisabeth, Josef, Augustin, Maria.

A: Ich wollte mit dir in einen Austausch gehen. Über unsere Familie. Und die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg im Südtirol.

HS: Das war eine schlimme Zeit.

A: Ich kann es mir nur vorstellen – Die Südtiroler wurden über Nacht zu Italienern. Das war bestimmt nicht leicht.

HS: Wir sahen uns mit vielerlei Diskriminierung konfrontiert. Nicht nur, dass wir auf einmal nicht mehr zu Österreich gehörten. Das wäre schon Schock genug gewesen.

O1: Der Name Südtirol und die Tiroler Fahne wurden verboten. Von nun an hieß das Südtirol Alto Adige.

HS: Das war eine Umgewöhnung. Und alles andere als einfach. Vor allem hörte es damit nicht auf.

O2: Ab 1923 wurden die deutschen Ortsnamen durch italienische ersetzt, die fälschlich als „Rückübersetzungen“ deklariert wurden.

A: Das hat bestimmt für Verwirrung gesorgt. Dann weiß man ja gar nicht mehr, welcher Ort jetzt wie heißt und die Orientierung wird einem erschwert.

HS: Ja und vor allem darfst du deinen eigenen Wohnort nicht mehr beim Namen nennen. Kannst du dir vorstellen, wie schwer das ist? Und was für ein seltsamer Zustand das ist? Es fühlte sich ein wenig so an, als ob wir gezwungen werden würden, unsere Vergangenheit zu verraten und unsere Herkunft aus Österreich zu verleugnen.

O1: Ab 1924 wurde in allen Kindergärten die Verwendung der italienischen Sprache angeordnet. Im Herbst des gleichen Jahres wurden private Spielstuben verboten.

O2: Am 1. März 1924 wurde Italienisch als alleinige Amtssprache eingeführt und in den folgenden Jahren die einheimischen deutschsprachigen Beamten, insbesondere das Verwaltungspersonal, größtenteils entlassen.

O1: Ab 1925 wurde bei Gericht nur noch die italienische Sprache zugelassen.

O2: Ab 1926 wurden deutsche Rufnamen italianisiert.

O1: Ab 1927 wurden deutsche Inschriften auf Grabsteinen verboten.

O2: Ab 1927 durfte das Gebet am Ende der Schulstunde nur noch auf Italienisch gesprochen werden.

O1: Ab 1929 erhielten Kinder eine Geldstrafe von 1 Lire, wenn sie keine Ausreichenden Italienischkenntnisse nachweisen konnten.

HS: Minas und meine Kinder durften nicht einmal mehr Deutsch sprechen mit ihren Freunden!

A: Bilinguale Erziehung ist heute sehr angesagt. Da wart ihr eigentlich Vorreiter.

HS: Bili- was?

A: Kindern ganz von Anfang an zwei Sprachen beibringen.

HS: Wenn es bei zweisprachig geblieben wäre…abgestempelt als österreichischer Südtiroler. Der sich das Anderssein aber nicht anmerken lassen durfte. Das war ja das Verrückte. Wir wurden dafür bestraft, dass wir aus Österreich(-Ungarn) kamen, obwohl wir hier schon lange (über Jahrhunderte) gewohnt haben, bevor dieser Boden einem anderen Land zugeteilt wurde.

A: Es wurde verlangt, dass sich die kolonialisierten Personen anpassen an die Kolonisierungsmacht.

HS: Es fühlte sich auf alle Fälle falsch an, was mit uns Südtirolern geschah. Alles, was daran erinnerte, dass das Südtirol einst nicht zu Italien gehörte, wurde verbannt. Und alles was den Anschein von Widerstand gegen die Umwidmung unseres Landes erwecken könnten, wurde strengstens verboten. Nicht nur die Sprache, sondern auch ganz banale Dinge, wie lange Bärte wurden verboten, da sie an den großen Freiheitskämpfer Andreas Hofer erinnerten. Sogar das Lied Auf zum Schwur Tiroler Land durfte nicht mehr gesungen werden.

A: Was bleibt denn noch, wenn Sprache, Kultur und Aussehen derart reguliert werden?

HS: Wenig. Strafe und Demütigung. Die haben meine drei ältesten Kinder in den Ferienkolonien erleben müssen.

A: Ich habe gelesen, dass es welche in Rimini am Meer gab. Meinst du die?

HS: Ja, genau. Sie waren als Ferienkolonien gedacht, aber wurden dann auch als permanente Unterkünfte für Kinder verwendet.

A: Damit wurde wohl eine Italienisierung vorangetrieben.

HS: Aber sicher doch! Von wegen es ging dabei darum, gesundheitlich angeschlagenen Kindern zu helfen, gesundes Essen und täglich frische Meeresluft. Doch das war lediglich der Deckname der die wahren Intentionen verborgen hielt.

A: Ich weiß, dass die älteren Geschwister meiner Mutter, Ludwig, Josef und Elisabeth dadurch stark geprägt wurden. Sie konnten nur unter Tränen über diese Zeit sprechen. Tante Lisl konnte bis zu ihrem Lebensende nur gebrochen Deutsch sprechen.

O1: 1936 wurden 6000 Familienamen und 8000 Ortsnamen italienisiert. Aus Taufers wurde Tubre und aus Johann Josef Gander wurde Govanni Giuseppe Della Ganda

O2: 1938 kam es zum Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland.

O1: Die deutsche Fahne wurde am Brenner gehisst.

HS: Wir dachten Hitler werde nun auch das deutschsprachige Südtirol ins Reich heimholen. Es kam aber anders.

O2: Am 22.Mai 1939 wurde der Stahlpakt zwischen dem Großdeutschen Reich und Italien von den beiden amtierenden Außenministern im Beisein Hitlers unterzeichnet.

O1: Die Brennergrenze blieb!

O2:1940 kam die Option. Die Südtiroler mussten sich zwischen Heimat und italienisch werden oder Deutschland und Auswandern entscheiden. Eine schicksalsschwere Entscheidung, die so manche Familie und Freundschaften entzweit hat, ja manche hatten sich sogar das Leben genommen.

O1: Auf zum Schwur Tiroler Land.

O2: Wie die Wahrheit im Rahmen

Wie ein Dunkel im Licht

Schwarz, weiß und entschlossen

Erhobenes Gesicht

Mit dem Mut und dem Willen

Sich nie zu ergeben

Es ist das Versprechen

Vor Gott und dem Gewissen

Mit Haltung zu leben.

HS: Die anderen sahen einen Umzug als Verrat an ihrer wahren Heimat, dem Südtirol an. Der Boden gehörte nun zwar nicht mehr zu Österreich, sondern zu Italien, doch waren es noch immer dieselben Straßen auf denen wir umhergehen, dieselben Häuser die wir bewohnten und dieselben Berge, die uns umgaben wie damals als wir Kinder waren und auf denen ich im Krieg für Gott, Kaiser und Vaterland gekämpft habe. Das sei unsere wahre Heimat, meinten sie, egal welchem Land angehörig.

 

O1: Es ist die Sehnsucht

Für die wir hier stehen

Friede, Erde und Freiheit

Ja, dieses Land ist unsere Leben

Wir entzünden die Feuer

Und singen unsere Lieder

Seht ihr die Flammen?

Herz Jesu Sonntag

Oh ja, wir feiern dich wieder.

A: Das ist tatsächlich eine schwierige Lage. Wollten sie auch gewaltvoll dafür sorgen. Ihre Heimat „zurückzuerobern“?

HS: Ein paar von ihnen hatten wohl solche Gedanken, doch glücklicherweise kam es, zumindest in diesem Jahr, nicht zu einem Aufstand, denn der hätte blutig geendet.

O2: Das Feuer, es brennt, das Feuer

Das Feuer, es brennt, das Feuer

Das Herz, es brennt für dieses Land

Für seine Freiheit

Die Fahne sie weht, sie weht im Winde

Die brennende Liebe und das Lied erklingt

Auf zum Schwur Tiroler Land

Auf zum Schwur

A: Und welche der beiden Ansichten hast du vertreten? Oder warst du auf einer ganz anderen Seite zu verorten?

HS: Für Wilhelmina und mich war das die schwierigste Entscheidung unseres bisherigen Lebens. Wir zögerten lange, denn Südtirol war unsere Heimat. Hier gehörten wir hin. Unsere Kinder kannten das Südtirol, das wir so liebten, nicht. Sie waren mit den Schikanen der Italiener großgeworden und haben nur gelernt die österreichische Kultur zu verleugnen und zu vergessen.

Am 30.12.1939, einen Tag vor Ablauf der Optionsfrist, reichte ich mein Gesuch zur Auswanderung ins „deutsche Reich“ für mich und meine Familie ein. Kennnummer 707.868. Die Aberkennung der italienischen Staatsbürgerschaft folgte.

O2: 70.000 Südtiroler*innen verließen ihre Heimat. Die Auswanderer erhielten Bahnkarten nur für die Hinfahrt in die neue Heimat.

Die Hälfte von ihnen kehrte nach Kriegsende ins Südtirol zurück.

O1: sitzt wieder am Tisch und stempelt nach jeder Station. Dieses Mal steht Hans-Sepp vor ihr.

O1: 20.Mai 1940-Röntgenstation Hotel Viktoria, Innsbruck.

20.Mai 1940 Erfassungsstelle Maria Theresienstr.42.

20.Mai 1940 Einbürgerungsstelle Maria Theresienstr.42

22.Mai 1940 Arbeitsamt Maria Theresienstr.42

22.Mai 1940 Unterbringungsstelle Maria Theresienstr.42

22.Mai 1940 Zahlstelle Maria Theresienstr.42

Erledigt!

A: Das war ja ein Behördenlauf sondergleichen.

HS: Ja, da fühlst du dich gleich dreifach abgestempelt.

A: Wo habt ihr die erste Wohnung erhalten?

HS: In Krumbach, im Bregenzerwald. Wir hatten uns offen Arme erwartet, standen aber vor verschlossenen Türen. Sie hatten Angst vor den Welschen. Sie sahen uns nicht als Österreicher an, wir wurden als Fremdkörper abgestempelt.

1941 zogen wir nach Bregenz in die Achgasse, in die neuerbaute Südtirolersiedlung wenngleich für damalige Verhältnisse überaus komfortabel und modern, wiesen die Wohnungen und Bauten kriegsbedingt jedoch oft erhebliche Mängel auf. So waren etwa Installationen häufig nur unzureichend ausgeführt und Badewannen der Kriegswirtschaft zum Opfer gefallen. Die Zwischenwände wurden mit Binsen gefüllt und dennoch schauten die Einheimischen neidvoll auf unsere Wohnungen.

O1: Mai 1945 Kriegsende.

HS:  Nun waren wir Staatenlos und mussten um die Österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen und um die Umbenennung unseres italienisierten Namens in den alten Deutschen Namen. Für die Arbeit brauchten wir bis in die 70-er Jahre eine Arbeitserlaubnis für Südtiroler Umsiedler.

02: Erledigt! (stempelt)

HS: 1950 folgte mein letzter Umzug, in unsere neue Südtiroler Wohnung im Steinleserweg 10 in Hard. Angekommen! Und die alte Heimat trotzdem nie vergessen.

A: Meine Mutter wohnt, mit zwei kurzen Unterbrechungen, immer noch in dieser Wohnung. Über den Verlust der alten Heimat zu sprechen fällt ihr sehr schwer. Sie war beim Auswandern erst fünf Jahre alt und versteht die Gründe bis heute nicht. Sie ist zwar auch angekommen aber nur bedingt.

Ich fühlte, bis ich mich mit deiner Hinterlassenschaft und der Aufarbeitung der vielen Unterlagen und Briefe befasst habe, eine gewisse innere Einsamkeit, eine gewisse Leere, ein fehlen von Wurzeln. Ich fragte mich immer wieder, woher komme ich und wohin gehöre ich-jetzt bin ich angekommen!

Für deine Enkel ist Südtirol nur noch ein wunderschönes Urlaubsland.